Offener Brief
Erläuterungen
Aufgrund des hohen Zuspruch für die Idee „Rock die Wahl®“ aber der mangelnden Unterstützung für das Projekt haben wir unsere Erfahrungen mal in einem „offenen Brief“ zusammen gefasst und diesen dann an politische Entscheider per Post versendet. Wir warten nun auf eine Reaktion.
Offener Brief
– Offener Brief –
Hamburg den 14.11.2014
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich wende mich heute an Sie, um Sie mit einer Situation bekannt zu machen, die ich für sehr bedenklich halte. Nicht nur für die Stadt Hamburg , unserem Land, sondern auch für unsere Demokratie.
Seit Jahren engagiere ich mich, sei es durch ehrenamtliches Engagement oder durch aktive Diskussionen, zu aktuellen Themen, öffentlich mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln. Nachdem ich nun mehrfach als Wahlhelfer/Wahllokalleiter mitgewirkt habe, bei Bekannten, durch die Presse und selber vor Ort die abnehmende Wahlbeteiligung in den letzten Jahren mitbekommen habe, habe ich beschlossen selber aktiv zu werden. Getreu dem Motto, nicht nur kritisieren, sondern zur Verbesserung der Situation beitragen.
Es stand die Frage im Raum, wie schaffen wir es die Wahlbeteiligung zu erhöhen? Nach der statistischen Auswertung der Bezirks- und Europawahl in Hamburg 2014 sind wir uns einig gewesen, dass wir uns auf die Jugendlichen und Erstwähler konzentrieren wollen. Verstärkt sollte in den sozial schwächeren Bezirken Aktionen durchgeführt werden, um dort das Demokratieverständnis zu stärken. Die Jugendlichen und Erstwähler sind die Zukunft unseres Landes und unserer Demokratie. Es sind diese Mitbürger die unsere Praktikanten, Auszubildende, Lehrlinge, Mitarbeiter und Leistungsträger werden sollen.
Wie erreicht man diese Zielgruppe (16-25 Jährigen)? Wir waren uns schnell darüber einig, dass vor allem anderem Musik verbindet und die für diese Zielgruppe der passende Transporteur für unsere Botschaft zur Wahl zu gehen sei. Somit haben wir die Idee „Rock die Wahl“ konzipiert, umgesetzt und stetig weiterentwickelt. Wir wollten nicht nur ein paar Plakate entwickeln, ein paar Flyer verteilen, wir wollten die Jugendlichen die Kampagne mitgestalten lassen. Anders als andere Kampagnen wollten wir auch an die Schulen direkt gehen und vor Ort mit den jugendlichen diskutieren und aufzuklären, warum dieses Gut und Recht zu wählen wichtig sei.
Persönliche Gespräche im Vorfeld haben gezeigt, dass wir mit unserem Konzept, die Erstwähler mit Musik erreichen zu wollen, einen großen Zuspruch fanden. Über 1000 Sponsorenmappen wurden an Firmeninhaber und Vertreter, eingetragene Vereine, Stiftungen und öffentliche Einrichtungen, zum Teil per Post, aber auch persönlich übermittelt. Überwiegend in dem Großraum Hamburg aber auch Bundesweit.
Von Beginn an war es angestrebt die Politik mit ins Boot zu holen. Nicht einzelne Parteien, sondern parteiübergreifend sollte „Rock die Wahl“ ausgerichtet sein. Hierfür nahm ich das erste Mal am 09.07.2014 Kontakt mit dem Büro der Bürgerschaftspräsidentin von Hamburg Frau Carola Veit auf, um ein Gesprächstermin zu bekommen. Wir wollten unser Projekt vorstellen, besprechen und schauen, ob und wie die Bürgerschaft mit „Rock die Wahl“ zusammen arbeiten könnte. Zum Beispiel durch personelle Beteiligung an den geplanten Diskussionsforen an Schulen. Mehrfach habe ich nachgehakt und mir wurde versichert, dass man sich, nach abarbeiten der aktuellen Themen, bei mir melden würde. Diese Rückmeldung blieb leider bis heute aus. Auch Rückmeldungen von Jugendorganisatoren einzelner Parteien blieben aus.
Für die Kostendeckelung von Rock die Wahl wollten wir vor allem an die Wirtschaft herantreten, weil es, wie oben aufgeführt, um deren zukünftigen Arbeitnehmer geht, und unserer Meinung nach, auch die Wirtschaft in unserem Land ein gewisses Maß an demokratische Verantwortung übernehmen sollte. Hier schieden schon bei der ersten Analyse für potenzielle Sponsoren die 3 finanzstarken klassischen Sponsoren für Events aus. Zum einen die Tabakindustrie, die Spirituosenindustrie und die Glücksspielindustrie. Dies wäre nicht mit unserer selbsterklärten Verantwortung gegenüber den jugendlichen und Erstwählern in Einklang zu bringen.
In den vergangenen Jahren haben wir immer wieder Events durchgeführt und diese vor allem durch Sponsorengelder grundfinanzieren können, selbst wenn es um ein „exotisches Event“ wie ein American Football – Spiel ging oder ein kurzfristig angesetztes Charity-Konzert für die japanischen Tsunamiopfer.
Das geplante Budget von „Rock die Wahl“ lag bei rund €330.000.-. Wobei €180.000.-, also ca. 54% an die Erstwähler durch Give Away‘s, Preisgelder und Events und Podiumsdiskussionen „zurückgeführt“ werden sollten. Trotz des gewaltigen positiven Feedbacks zu dem Konzept von „Rock die Wahl“ und dem Zuspruch, wie wichtig das Thema Demokratieverständnis/Wahlbeteiligung sei, konnten wir bis heute keine Partner für „Rock die Wahl“ finden. Stiftungen und Vereine konnten uns durch die fehlende Gemeinnützigkeit, die eventuell langfristig diskutierbar gewesen wäre, nicht unterstützen. Auch von öffentlichen Einrichtungen haben wir Absagen erhalten.
Die fast 90%ige Rückmeldung aus der Wirtschaft, das „Rock die Wahl“ am richtige Punkt ansetzt, sehr wichtig, und grundsätzlich unterstützenswert sei, man sich aber politisch nicht engagieren kann bzw. will, ist erschreckend!
Auch von Handels- und Industriekammern bekamen wir Absagen.
Zu guter Letzt auch vom Amt für politische Bildung in Hamburg.
Als ich mich über Förderprogramme von Bund und/oder EU telefonisch in Berlin beim Wirtschaftsministerium informierte, wurde mir freundlich mitgeteilt, dass meine einzige Möglichkeit, finanzielle Mittel zu beantragen sei, mich an die KfW Bank zu wenden, um dort einen Kredit zu beantragen. Ich soll nun einen Kredit aufnehmen für Veranstaltungen und Aktionen bei denen wir mit keinen finanziellen Gewinn rechnen?
Ich bin fassungslos, enttäuscht und erschüttert!
In der letzten Woche habe ich ein Schreiben von meinem Bezirksamt bekommen in dem ich angefragt wurde, ob ich wieder als Wahllokalleiter zur Verfügung stehen würde. Man würde gerne auf meine Erfahrung und Zuverlässigkeit zurückgreifen. Es ist das erste Mal seit Jahren, dass ich überlege ein Ehrenamt abzulehnen. Ich habe meine Tätigkeiten als Schöffe und als Wahlhelfer immer mit Stolz durchgeführt, es als mein Beitrag für unsere Stadt, unser Land, die Gesellschaft und die Demokratie gesehen.
Nach den Erfahrungen in den letzten Wochen frage ich mich, wenn man es schafft, bei meinem Team und mir Zweifel an Engagement für Demokratie auftauchen zu lassen, wie will man es schaffen, dass sich Jugendliche und Erstwähler engagieren? Wie können wir Werte, Engagement und Demokratiebeteiligung fordern, wenn wir selber, und hier meine ich die Gesellschaft, die Wirtschaft und nicht zu Letzt die Politik, nicht bereit sind darin zu investieren?
Dies in Zeiten, wo sich führende Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft medial, kritisch und besorgt, über die kommunalen, regionalen und nationalen mangelnden Wahlbetteilungen äußern.
Meine Damen und Herren, ich schreibe diesen offenen Brief heute nicht mit Groll, sondern mit eingangs erwähnter Besorgnis.
Es ist eine Sache, ob eine Idee, wie „Rock die Wahl“, grundsätzlich nicht durchführbar sei. Das eine Idee aber daran scheitert, weil Firmen scheinbar Angst haben sich öffentlich, parteiunabhängig(!), politisch zu engagieren, weil es nicht mal zu Terminen/Rückantworten mit/von politischen Vertretern kommt oder öffentliche Einrichtungen grundsätzliche Unterstützung absagen, anstatt miteinander versuchen eine Lösung für eine Unterstützung zu finden, halte ich für unsere Zukunft bedenklich.
Bei dem Thema, die Leistungsträger von Morgen zu mehr demokratischem Bewusstsein und Engagement zu motivieren, hätte ich mit einer positiven, bedingungslosen Resonanz gerechnet.
Anbei habe ich Ihnen vollständigkeitshalber unser Sponsorenanschreiben und unsere Sponsorenmappe beigefügt, in der die Idee und das Konzept von „Rock die Wahl“ genauer erläutert wird.
Dieses Schreiben ist ein Offener Brief, und somit geht dieser per Post an den unten aufgeführten Verteiler, da wir finden, dass dieses Thema ein gesellschaftliches Problem darstellt und breit diskutiert werden sollte.
Mein Team und ich würden sich über eine persönliche Antwort, wie sie diese Entwicklung sehen, sehr freuen und
wir verbleiben mit freundlichem Gruß
Thorben Reinhard
Verteiler:
Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit, Erster Bürgermeister Herr Olaf Scholz, Zweite Bürgermeisterin Frau Dr. Dorothee Stapelfeldt, Frau Senatorin Jutta Blankenau, Herr Senator Frank Horch, Frau Senatorin Prof. Barbara Kisseler, Herr Senator Michael Neumann, Frau Senatorin Cornelia Prüfer-Storks, Herr Senator Ties Rabe, Herr Senator Detlef Scheele ,Frau Senatorin Jana Schiedek, Herr Senator Dr. Peter´Tschentscher, Fraktionsvorsitzende der Hamburger Bürgerschaft, Landesvorsitzende Hamburg (CDU, Die Grünen, FDP, Die Linke) Bundespräsident Joachim Gauck, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesminister Sigmar Gabriel, Bundesminister Thomas de Maizière, Bundesminister Wolfgang Schäuble, Bundesministerin Andrea Nahles, Bundesministerin Manuela Schwesig, Bundesminister Alexander Dobrindt, Bundesministerin Johana Wanka, Bundesminister Gerd Müller, Kanzleramtsminister Peter Altmaier, Staatsministerin Aydan Özoguz, Politiker a.D. Bundeskanzler a.D. Helmut Schmidt, Bürgermeister a.D. Henning Voscherau, Bürgermeister a.D. Ole von Beust